In einem vorherigen Beitrag sprach ich mich dagegen aus, die Verschlüsselung von Emails zu empfehlen. Eins meiner Argumente ist dabei die fehlende allgemeine Vertrauenswürdigkeit von Computern, auf die ich in diesem Post etwas detailierter eingehen möchte.
Ziel von Verschlüsselung ist es, Vertraulichkeit herzustellen. Die Nachricht soll nur dem Absender und dem Empfänger bekannt sein, das genau ist, was durch die Verschlüsselung erreicht werden soll. Um dieses Ziel wirksam zu erreichen, ist es jedoch erforderlich, dass die Systeme, auf denen die Nachricht verarbeitet wird, vertrauenswürdig sind. Diese Vertrauenswürdigkeit soll in Deutschland sogar durch ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme von staatlicher Seite zugesichert und eingeräumt werden. Insofern ist Verschlüsselung die technische Umsetzung dieses Grundrechts.
"Integrität" ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu interpretieren: Das System soll genau das und nur das machen, was die Benutzerin oder der Benutzer von ihm erwartet. Erweitert auf die Vertraulichkeit von Kommunikation heisst das: Wenn Alice eine Email an Bob schreibt, dann sollen alle beteiligten Systeme sicher stellen, dass niemand ausser Alice oder Bob den Inhalt der Email sieht.
"Seit Snowden" wissen alle, dass insbesondere US-Amerikanische Firmen nicht um unsere Grundrechte kümmern. Die Integrität von Facebook, Google, Amazon usw. ist also nicht gewährleistet. Hier kommt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ins Spiel, die von Experten empfohlen wird, um die trotz kompromittierten Transportsystemen die Integrität der Kommunikation gewährleisten zu können.
Es bleiben die Endgeräte, im Idealfall die beiden Computer von Alice und Bob. Wenn die Verschlüsselung wirksam sein soll, um Vertraulichkeit und Integrität zu Gewährleisten, dann müssen zumindest die verbleibenden beiden Computer vertrauenswürdig und integer sein. Das sind sie jedoch nicht.
Die fehlende Vertrauenswürdigkeit beginnt dabei bei der Hardware: Weder die verbauten Chips, noch die in die Rechner werkseitig eingebetette Firmware ist integer im Sinne der Wünsche der Anwenderin. Als Kunde weiss man nicht, ob die Hardware nur dass kann, was man glaubt, dass sie kann. Es ist auch nicht sicher gestellt, dass die eingebettete Systemsoftware fehlerfrei im Sinne der Anwenderwünsche ist. Als Betreiber eines Computers kann man an die Integrität seines neuen Computers glauben, sicher kann man sich jedoch nicht sein.
Schwerwiegender jedoch ist die fehlende Vertrauenswürdigkeit der Software, die auf den Endgeräten zum Einsatz kommt. Die Erkenntnis, dass Software nicht "fehlerfrei" sein kann, ist heutzutage ein Allgemeinplatz. Eine Konsequenz daraus ist, dass das automatische Einspielen von Software-Korrekturen zur Fehlerbehebung eine Notwendigkeit ist, mit der sich Anwender davor schützen, dass Softwarefehler von Kriminellen zur Kompromittierung ihrer Systeme ausgenutzt werden. Durch diese automatischen Updates jedoch wird die Integrität der Endgeräte ständig kompromittiert, da jedes Update an das Potenzial hat, weitere Fehler und Sicherheitslücken nach sich zu ziehen. Es spielt dabei keine Rolle, ob man kommerzielle oder Open Source-Software verwendet: Wer Code aus dem Internet auf seinem Computer laufen lässt, kann nicht sicher sein, dass nicht auch unerwünschte Software zur Ausführung kommt.
Um zu meinem ursprünglichen Szenario zurückzukehren, in dem Alice eine Email an Bob schreibt und in dem alle zwischengelagerten Systeme durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht mehr für die Sicherheitsanalyse in Betracht gezogen werden müssen. Angenommen, Alice hat auf wundersamen Wegen einen vertrauenswürdigen Computer kaufen können betreibt ihn ausschließlich mit selbst durchgelesener und für fehlerfrei befundener Software. Welche Annahmen kann sie denn über Bobs Computer machen?
Frei programmierbare Systeme, die schon werkseitig ohne eine Abgrenzung ihrer Funktionalität und ohne Überprüfungsmöglichkeit für den Benutzer sind, eignen sich nicht im mal Ansatz dazu, als Basis für die vertrauenswürdige Datenverarbeitung zu fungieren. Die Postulation von "Grundrechten" ist kein geeignetes Mittel, um diesen tatsächlichen Zustand zu ändern. Schlimmer noch: Wer behauptet, dass Sicherheit nur eine Frage der Installation der "richtigen" Software ist, nährt nur die Illusion von Sicherheit, die dann in der Zukunft weitere Enttäuschungen erfahren wird.
Vermutlich muss man den ganzen Komplex als Kampagne der heimischen IT-Industrie sehen. Angeblich schlechte Systeme, die von bösartigen ausländischen Mächten absichtlich unsicher gemacht werden, stehen gute Systeme von unserer heimischen Industrie gegenüber, die diese ganzen Nachteile nicht haben. Aber das ist Quatsch, und diese Versprechen werden nicht gehalten werden.
Was wäre denn die Alternative? Angenommen, die Integrität von IT-Systemen würde von staatlicher Seite als zu gewährleistendes Grundrecht interpretiert. Es müsste von staatlicher Seite sicher gestellt werden, dass zumindest bestimmte Datenverarbeitung in einem sicheren Rahmen stattfindet, auf den sich dann auch die Jurisdiktion verbindlich berufen kann. Da das Internet inklusive aller an ihn angeschlossenen Systeme insgesamt nur als kompromittiert angesehen werden kann, wurde im öffentlichen Diskurs die Forderung nach einem "Clean Slate"-Ansatz laut. Dieser Ansatz würde erfordern, dass eine komplett neue Systemwelt aufgebaut wird, in der jede Komponente für sich verifizierbar einem bestimmten Anwendungszweck genügt, und in der sich eine dritte Instanz (neben Alice und Bob) für die Systemintegrität verbürgt. Es muss für den Netzteilnehmer möglich sein, die Integrität der Endgeräte zu überprüfen, damit er oder sie wirksam davon ausgehen kann, dass die Kommunikation im Rahmen der von Dienst gewährleisteten Integritätsgarantien stattfinden kann.
Wer einen "Clean Slate"-Ansatz befürwortet, verabschiedet sich von dem offenen Internet, dass wir als Innovationsraum und als Erweiterung unseres Bewusstseins derzeit zu nutzen lernen. Mich erinnert das an die Zeiten vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes: Die Bundespost war damals die Instanz, die mit dem Telefonnetz das Kommunikationssystem betrieb. Die Integrität des Netzes wurde von staatlicher Stelle garantiert, und war - zumindest so lange das Netz analog war - auch faktisch gewährleistet. Die Liberalisierung des TK-Marktes und die Digitalisierung haben dazu geführt, dass die Annahmen über die Integrität der Kommunikationsnetze nicht mehr in der gleichen Form gemacht werden können - Einerseits, weil die staatlichen Garantien dank der Liberalisierung weggefallen sind, anderseits weil die Digitaltechnologie Integrität nicht von Hause mitbringt und es erheblichen Aufwand erfordert, die gleiche faktische Integrität in digitalen Systemen zu implementieren.
In den kommenden Jahren werden wir zunehmend Geräte kaufen können, die nur einem bestimmten Zweck dienen: Telefone, mit denen man nur (sicher) telefonieren kann. Tablets, mit denen man nur (sicher) Bankgeschäfte erledigen kann, Kommunikatoren, mit denen man nur (sicher) Emails senden und empfangen kann, Shopping-Konsolen, mit denen man (sicher) Produkte ansehen und einkaufen kann, Fernseher, mit denen man (sicher) fernsehen kann, das Staatsterminal, mit dem man (sicher) wählen und seine Behördengänge erledigen kann. Alle diese Systeme wird auszeichnen, dass sie komplett geschlossen sind. Es wird nicht möglich sein, auf ihnen eigene Programme laufen zu lassen, und ihre Funktionen werden vollständig von den Firmen und Institutionen bestimmt werden, die die entsprechenden Systeme betreiben.
In dieser Welt wird das Internet, wie wir es heute kennen, zunehmend an den Rand gedrängt werden. Wir werden etwas dafür tun müssen, wenn wir Freiräume er- und behalten wollen. Freiräume und Sicherheit stehen in grundsätzlichem Widerspruch, und es sollte nicht so getan werden, als liesse sich das eine durch das andere erreichen.